Sich als Klient*in in der Psychotherapie öffnen zu können, ist das A und O für jeden erfolgreichen Therapieprozess. Vielen Klient*innen fällt es jedoch schwer, der/dem Therapeut*in zu vertrauen – vor allem zu Beginn der Psychotherapie. Wie Du eine tragfähige Grundlage für die Zusammenarbeit schaffst und Deinen Klient*innen von Anfang an hilfst, sich in der Therapie zu öffnen, erfährst Du in diesem Artikel. (Spoiler: Die Naturtherapie bietet dafür beste Voraussetzungen.)
Ein einprägsames Erlebnis
Vor einigen Jahren klagte unsere 14-jährige Tochter regelmäßig über Bauchschmerzen. Besonders an Schultagen war es so schlimm, dass sie häufig zu Hause bleiben musste. Im Laufe eines Schul-Halbjahres häuften sich so über 200 Fehlstunden an! Nachdem unsere familiären „Bordmittel“ ausgeschöpft und rein körperliche Ursachen ärztlich ausgeschlossen waren, suchten wir (mangels humanistischer Therapeut*innen) eine Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin mit tiefenpsychologischem Ansatz auf. Nach Jahren ohne Eigentherapie war ich neugierig darauf, die Arbeitsweise der Kollegin aus Angehörigen-Sicht zu erleben.
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne - oder auch nur Verwunderung
Beim Erstgespräch durften wir Eltern mit dabei sein. Wir saßen auf Stühlen rechts und links neben unserer Tochter, etwa 3 m entfernt von der Therapeutin. Auf den ungewohnt weiten Gesprächsabstand (es war noch vor der Pandemie) folgte ein Gesprächsauftakt, der dem Überbringen einer Todesnachricht ähnelte. Mit ernster Miene, betont langsam und leise fragte die Therapeutin unsere Tochter, ob sie wisse, warum sie heute hier sei. Unser tapferes Töchterlein beantwortete alle Fragen zu ihren Symptomen, Ereignissen der letzten Zeit, ihrem Erleben der Familiensituation und der Schule. Währenddessen fertigte die Therapeutin Notizen auf ihrem Klemmbrett an, machte lange Schweigepausen und schien zu beobachten, wie wir Eltern auf das Gesagte reagieren.
Menschen wollen nicht beobachtet, sondern gesehen werden
Zuvor hatte ich mich auf den Besuch bei der Kollegin gefreut und gehofft, dass mein Kind dort warmherzige Unterstützung erfährt. Jetzt fühlte ich mich jedoch zunehmend unbehaglich. Innerlich wurde ich immer kleiner, fühlte mich ohnmächtig und ausgeliefert. (Eine interessante Erfahrung für jemanden, der eigentlich im psychotherapeutischen Setting zuhause ist.) Wir Eltern wurden erst am Ende der Sitzung angehört. An den Fragen der Therapeutin war schnell zu erkennen, welche Hypothesen sie sich in dieser kurzen Zeit über uns gebildet hatte. Zum Schluss erfolgte noch die Besprechung des weiteren Vorgehens – ebenso steif und distanziert wie das bisherige Gespräch.
Ich erinnerte mich wieder, warum ich es anders mache
Mangels Alternativen absolvierte unsere Tochter die fünf probatorischen Sitzungen. Wenn ich nachfragte, wie es ihr mit der Therapie ginge, sagte sie, dass sie nicht verstehe, „wozu das alles gut sein soll“ und sie die Therapeutin auch nicht besonders nett fände.
Beim Abschlussgespräch der Diagnostik waren wir Eltern wieder eingeladen und erhielten die gesammelten Erkenntnisse der Kollegin – inkl. tiefenpsychologischer Analyse eines Bildes, das unsere Tochter in den Sitzungen gemalt hatte, und dessen Deutung mir sehr weit hergeholt erschien. Da keine der drei beteiligten Parteien eine weitere Zusammenarbeit für sinnvoll hielt, verabschiedeten wir uns von der Kollegin und ich war um einige Erkenntnisse reicher. Vor allem wusste ich nun wieder, warum ich als Therapeutin es anders mache!
Was brauchen Klient*innen, um sich in der Therapie öffnen zu können?
Der wichtigste Faktor für eine erfolgreiche Psychotherapie ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient*in und Therapeut*in. Nur wer dem Psychotherapeuten vertraut, ist bereit, sich ihm „anzuvertrauen“, d.h. sich zu öffnen und auch angst- oder schambesetzte Themen anzusprechen. Vertrauen in die fachliche Expertise ist dafür sicher hilfreich. „Unsere“ Therapeutin schien ihr Handwerk – rein technisch – zu beherrschen. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie lehrbuchmäßig vorgeht und sich an die Regeln unseres Berufsstandes hält. Gleichzeitig sendete sie aber Signale aus, die mich verunsicherten und an meiner Selbstwahrnehmung zweifeln ließen. Unsere Tochter schien sich über die fünf Sitzungen hinweg redlich zu bemühen, sich auf die Therapie einzulassen. Aber auch sie fand keinen rechten „Draht“ zu der Therapeutin und ihren Methoden.
Eine Frage der Passung
Was folgt für Dich aus dieser Geschichte? Sollte man es auf jeden Fall anders machen als diese Kollegin? Nicht unbedingt!
Eine hilfreiche Therapiebeziehung entsteht, wenn Therapeut*in und Klient*in zueinander passen. Für unsere Familie war diese Psychotherapeut*in nicht passend, aber mit anderen Klient*innen wird sie sicher erfolgreich arbeiten können. Die Passung entsteht durch Übereinstimmung von Klient*in und Therapeut*in auf persönlicher und konzeptueller Ebene. Mangelnde Passung hingegen ist eine der Hauptursachen für das Scheitern von Psychotherapien.
Konzept kreiert Kontakt
Klient*in und Therapeut*in sollten sich also hinreichend sympathisch sein (persönliche Ebene) und in ihren Überzeugungen bezüglich Störungsursachen, Therapieverfahren und therapeutischem Vorgehen übereinstimmen (konzeptuelle Ebene). Wenn der Klient*in das Erklärungsmodell der Therapeut*in plausibel erscheint und sie mit dem Vorgehen einverstanden ist, stärkt das ihr Empfinden von Sicherheit und Selbstwirksamkeit.
Zum Therapieverfahren gehört auch eine bestimmte Haltung der/dem Klient*in gegenüber: Vertreter*innen der humanistischen Psychotherapie sehen sich z.B. eher als Prozessbegleiter*innen, die sich auch persönlich als Mensch einbringen. Das Selbstverständnis der psychodynamischen Richtungen ist eher vom klassischen Patient-Behandler-Verhältnis geprägt und gestaltet den Kontakt entsprechend distanzierter. Auch die Institution spielt eine Rolle: In Kliniken geht es oft unpersönlicher zu als in ambulanten Praxen.
Angstfreie Atmosphäre
Das wichtigste Bestreben im Erstgespräch sollte daher sein, eine angstfreie Atmosphäre zu schaffen. Nicht nur als Ausgangsbasis für einen stabilen Therapiefortschritt, sondern auch um herauszufinden, ob Du als Therapeut*in mit diesem Menschen arbeiten möchtest. Um festzustellen, ob die „Chemie stimmt“, muss sich die Klient*in angstfrei zeigen können.
Ein erster Schritt dahin ist, auf psychotherapeutische „Statussymbole“ wie Klemmbrett und psychologischen Jargon zu verzichten. Setz Dich einfach in einem normalen Gesprächsabstand mit Deiner Klient*in zusammen und biete ihr vielleicht ein Getränk an. Oder lade sie zu einem Spaziergang im Grünen ein und bitte sie, zu erzählen, wo sie der Schuh drückt. So freundlich und herzlich wie Du eine gute Bekannte einladen würdest. Sei einfach ein*e gute*r Gastgeber*in und begegne Deinem Gast als Mitmensch auf Augenhöhe.
Die Rolle der Sprache
Wenn Du das Fachbuch „Naturtherapie“ gelesen oder an einer Fortbildung mit mir teilgenommen hast, weißt Du, dass mir eine leicht verständliche und „alltägliche“ Ausdrucksweise am Herzen liegt. Ich empfehle, möglichst auf dem Niveau Deiner jeweiligen Klient*innen zu sprechen. Damit beugst Du einem hierarchischen, und dadurch distanzierten und potenziell angstbesetzten, Verhältnis vor.
Auch Lautstärke, Pausen und das Tempo Deiner Sprache sollten zur Situation passen. Wenn Du mit Deine*n Klient*innen emotional mitschwingst, wirst Du erspüren, wann ein heiterer Plauderton und wann eine ernste Miene angemessen sind.
Sich in der Therapie zu öffnen, ist draussen leichter
Wenn es darum geht, dass Klient*innen sich in der Therapie öffnen können, ist der Naturraum eine ideale Umgebung. Beim Spazieren ist man nicht mit einem Gegenüber konfrontiert, die/der einen permanent ansieht, sondern Therapeut*in und Klient*in gehen mit gleicher Blickrichtung nebeneinander. Das kann Klient*innen vom Druck entlasten, sich in einer bestimmten Weise präsentieren zu müssen.
Spazierengehen ist für die meisten Menschen, die sich für eine Naturtherapie entschieden haben, etwas wohltuend „Normales“. Der Gang zur Therapeut*in hingegen ist häufig mit dem Stigma behaftet, „krank“ oder „unfähig“ zu sein (den meisten Klient*innen ist es peinlich, beim Eintritt in die Psychotherapie-Praxis gesehen zu werden!). Wenn nun aber die Sitzung draußen im Grünen stattfindet, erlebt sich die/der Klient*in als Spaziergänger*in schon gleich kompetenter und weniger stigmatisiert. Das hilft, sich in der Therapie öffnen zu können.
Demokratisierung der Sitzung
Draußen in der Natur wird auch dem Erleben von Hierarchie vorgebeugt. Die Sitzung wird „demokratischer“, denn Klient*in und Therapeut*in sind beide den Unbilden der Witterung und anderen unvorhersehbaren Ereignissen in der Natur ausgesetzt. Das verbindet sie als Mitmenschen. So ist die/der Therapeut*in eher (wie in der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes „therapon“) „Gefährt*in“ anstatt „Behandler*in“.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die/der Klient*in draußen nicht Gast in den Räumen der/des Therapeut*in ist. Der Wald oder der Park gehört beiden nicht und beide haben draußen die gleichen Rechte und Pflichten. Auch das kann es der/dem Klient*in leichter machen, sich als gleichberechtigt zu erleben und sich in der Therapie zu öffnen.
Unterstützende Umgebung
Wenn man im Therapiezimmer frontal vor einer fremden Therapeut*in sitzt und nach Worten ringt, kann das für Klient*innen sehr beängstigend sein. Keine gute Voraussetzung, um sich in der Therapie zu öffnen. Draußen in der Natur hingegen könnte die/der Therapeut*in dazu einladen, einen Natur-Gegenstand zu finden, der das ausdrückt, was mit Worten momentan nicht sagbar ist. Oder die/der Klient*in könnte eine aktuelle Problemsituation mit Naturmaterial gestalten. Schon gäbe es eine Gesprächsgrundlage, die es leichter macht, sich der Therapeutin anzuvertrauen!
Nicht zu unterschätzen ist auch der Aspekt der Bewegung. Entspanntes Gehen bringt erwiesenermaßen nicht nur den Körper in Gang, sondern auch seelisch-geistige Prozesse. Verspannungen können sich leichter lösen und der Mensch fühlt sich insgesamt lebendiger und wohler in seiner Haut. Beste Voraussetzungen, um sich vertrauensvoll in der Therapie öffnen zu können.
Fazit
Wie Du Deinen Klient*innen hilfst, sich in der Therapie zu öffnen, hängt u.a. vom Therapieverfahren, Deiner Haltung, der Institution und der Passung zwischen Euch beiden (auf persönlicher und konzeptueller Ebene) ab. Wenn man weiß, wie sich Naturerfahrungen therapeutisch sinnvoll einbinden lassen, kann der Naturraum in jedem Fall eine hilfreiche Unterstützung sein.
Wie sind Deine Erfahrungen als Therapeut*in oder Klient*in? Was hilft Deiner Meinung nach besonders, um Vertrauen zu fassen und sich in der Therapie zu öffnen?
PS: Die Bauchschmerzen unserer Tochter verschwanden von selbst als sie in die gymnasiale Oberstufe kam. Sobald sie ihre Fächer selbst wählen konnte, ging sie gerne zur Schule.
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