Viele Psychotherapeut*innen wünschen sich, ressourcenorientiert zu arbeiten – und dabei auch eigene Kraftquellen nicht aus dem Blick zu verlieren. Naturtherapie bietet hier einen doppelten Gewinn: Sie hilft Klient*innen, ihre Depression im Einklang mit der Natur zu überwinden und eröffnet zugleich die Möglichkeit, selbst regenerative Erfahrungen in der Natur zu machen. In diesem Beitrag zeige ich Dir praxisnahe Zugänge für beides.
Der Text stammt aus meinem Buch „Naturtherapie“ (Beltz, 2019) und wurde für diesen Beitrag leicht angepasst – mit dem Fokus auf praktische Impulse für Deine Arbeit als Therapeut*in und Deine eigene Selbstfürsorge.
Eine Warnung vorab
Bei einer störungsspezifischen Naturtherapie für Depressionen besteht die Gefahr, dass Anregungen als Anleitungen missverstanden und alle Menschen mit der gleichen Diagnose über einen Kamm geschoren werden. Es könnte bei dieser Herangehensweise passieren, dass Klient*innen gegenüber ihren Diagnosen aus dem Blick geraten und die Therapeut*in plötzlich nur noch die Depression behandelt, anstatt die Klient*innen auch bei ihrem Wachstum als Mensch zu unterstützen.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, sei betont, dass störungsspezifisches Wissen zwar die Empathie fördern, sie jedoch keinesfalls ersetzen kann. Für das Ziel einer umfassenden Heilung sollten sowohl störungsspezifische als auch situationsspezifische, passungsspezifische bzw. prozessspezifische Aspekte in der Psychotherapie zum Tragen kommen, d.h. von der Therapeut*in frei und spontan entfaltet werden.
"Eine Behandlung, die zwar die Symptome beseitigt, aber zu keiner wesentlichen Veränderung im Weltentwurf des Klienten führt, ist nur ein rudimentäres Relikt dessen, was Psychotherapie wirklich vermag."
Sandra Knümann
Gefahr der Instrumentalisierung
Auch im Hinblick auf die Naturbeziehung ist ein Wort der Warnung angebracht: Natürlich „kann“ man Naturerlebnisse verabreichen wie ein Medikament. Der moderne Mensch ist entfremdet genug, um naturtherapeutische Interventionen als etwas von außen Kommendes, als Training oder Übungsfeld zu empfinden, das mit ihm im Grunde nichts zu tun hat.
Damit würde die Naturtherapie aber ihre transformierende existenzielle Wirkung einbüßen, die ja gerade darauf beruht, dass der Mensch sich sowohl von der Natur unterscheidet, als auch ein Teil von ihr ist.
Statt die äußere Natur für Zwecke der menschlichen Entwicklung und Heilung zu instrumentalisieren (was den herrschenden Anthropozentrismus nur weiter fortschreiben würde), gilt es auch bei einer „Naturtherapie bei Depressionen“ die Verbundenheit und das Selbst-Natur-Sein bewusst erlebbar zu machen.
(Wie das geht, lernst Du in unserer Ausbildung „Naturtherapie / Naturcoaching“)
Ergänzende Perspektiven
Wenn in den folgenden Abschnitten die Perspektive von der Betonung der „Wiederverbindung mit der Natur“ eher zu einer „Symptombehandlung mithilfe von Naturerfahrungen“ wechselt, so ist damit also nicht gemeint, dass diese Blickrichtung für das Ziel einer umfassenden Heilung ausreichend ist.
Stattdessen ergänzen sich beide Perspektiven: Die eine ist eher an Salutogenese orientiert, die andere an Pathogenese. Die eine an menschlicher Entwicklung und einem gelingenden Leben, die andere an Symptomfreiheit. Die eine an Ressourcen, die andere an Problembereichen.
Über aller Störungsorientierung darf ebenfalls nicht vergessen werden, dass jede*r Klient*in auch gesunde Anteile und Fähigkeiten, eine individuelle Persönlichkeit und sein existenzielles Mensch-Sein mit in die Therapie bringt. In diesem Sinne sollen die folgenden Abschnitte beispielhafte Anregungen bieten, die individuell an den Therapieprozess, die Person der Klient*in und der Naturtherapeut*in angepasst werden müssen.
Idealerweise regen die Beispiele dazu an, für jede*n Klient*in eine ganz eigene Naturtherapie bei Depressionen zu entwickeln.
Depressive Symptome und naturtherapeutische Interventionen
1. Gedrückte Stimmungslage
Es wäre unrealistisch anzunehmen, dass ein Mensch in einer mittelgradigen oder schweren Depression die positiven Seiten der Natur ohne weiteres wahrnehmen und empfinden könnte. Oftmals wird ihm gerade angesichts der Schönheit der Natur schmerzlich bewusst, wie wenig er zu fühlen imstande ist. Dennoch besteht eine gewisse Chance, dass positive Natureindrücke die Klient*innen erreichen und ihre Stimmung kurzfristig aufhellen können.
An sonnigen Tagen könnte die Naturtherapeut*in daher etwas direktiver dazu ermutigen, die Sitzung im Freien zu verbringen. Bei der Wahl der Umgebung kann sie einem Ort den Vorzug geben, an dem angenehme Begegnungen mit Tieren oder bunten Blüten möglich sind, und dort zum Innehalten und Wahrnehmen anregen (z.B. indem sie selbst als Vorbild agiert). Auch Kindheitserinnerungen sind häufig mit positiv empfundenen Gefühlen verbunden, die man in der Therapie wiederbeleben kann.
Eine „Wachnacht“ in der Natur erfüllt in der Naturtherapie bei Depressionen viele therapeutische Zwecke und kann u.a. durch den Schlafentzug leicht euphorisierend wirken. Neben der Induzierung angenehmer Gefühle sollte die Naturtherapeut*in der Klient*in aber immer auch zu verstehen geben, dass sie ihre Stimmung nachempfindet und akzeptiert. Dabei kann die natürliche Umgebung mit ihren Atmosphären und symbolhaften Gegenständen behilflich sein.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Heute ist so ein tolles Wetter! Das sollten wir nutzen!“
„Oh, das sieht ja schön aus!“
„Welche Lieblingsplätze hatten Sie als Kind draußen?“
„Was würden wir jetzt tun, wenn wir Kinder wären? Sollen wir es mal ausprobieren?“
„Finden Sie einen Naturgegenstand, der Ihre jetzige Stimmung ausdrückt.“
„Wie würden Sie die Stimmung beschreiben, die gerade über der Landschaft liegt? Welchen Einfluss hat sie auf Ihre eigene Stimmung?“
2. Mangelnde Selbstannahme und –akzeptanz
„Wir sind so gern in der freien Natur, weil diese keine Meinung über uns hat.“
Friedrich Nietzsche
Bei einer „freien Naturerfahrung“ erhält die Klient*in die Chance, ganz ohne die vermeintlichen Erwartungen und Urteile anderer, die Natur als Freiraum zu nutzen. Vielleicht ergibt sich aus der Betrachtung der natürlichen Vielfalt für die Klient*in die Erkenntnis, dass Perfektion nicht existiert und sie selbst mit ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten ebenso akzeptabel ist wie andere Lebewesen. Vertieft werden kann diese Erkenntnis durch die naturtherapeutische Aufgabe, verletzte und „unperfekte“ Dinge in der Natur zu finden und auf sich wirken zu lassen.
Eine naturtherapeutische Intervention bei Depressionen könnte auch darin bestehen, sich in der Abgeschiedenheit des Waldes so zu verhalten wie man es sich im Alltag nicht erlaubt. In der Nacharbeit kann die Naturtherapeut*in die dabei auftauchenden Selbstanteile bestätigen und wertschätzen. So gewinnt die Klient*in gleichsam an Kontur und erfährt, dass Individuation nicht gefährlich sein muss.
Akzeptanz vonseiten der Naturtherapeut*in kann auch bedeuten, den depressiven Zustand gerade nicht „wegtherapieren“ zu wollen, sondern der Klient*in einen Raum dafür zu bieten. Beispielsweise kann die Naturtherapeut*in eine kurze Wegstrecke wählen, zu einem langsameren Tempo einladen, den Rucksack der Klient*in tragen oder sie auffordern, einen Ort in der Natur zu finden, an dem sie sich sicher und geborgen fühlt.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Welches Gehtempo ist Ihrem jetzigen körperlichen Befinden angemessen?“
„Können Sie von dem Bäumchen, das Ihnen bei Ihrer freien Naturerfahrung aufgefallen ist, vielleicht etwas lernen?“
Klient*in: „Das hört sich jetzt total verrückt an, aber ich habe die ganze Zeit Kinderlieder vor mich hingesungen.“ Therapeut: „Das finde ich überhaupt nicht verrückt. Kinderlieder haben so schöne Melodien und offenbar hat das Singen Ihnen gutgetan.“
„Sie sagen, Sie fühlen sich heute ganz kraftlos. Dann wäre es doch angemessen, wenn wir uns einfach hier hinsetzen. Einverstanden?“
3. Verlust des Lebensrhythmus
Naturtherapie-Interventionen, die beim Wiederfinden des eigenen Takts unterstützen, beginnen schon bei den basalen Körperrhythmen. Die Naturtherapeutin kann z.B. die Aufmerksamkeit auf den Atem, den Herzschlag oder die rhythmische Bewegung des Körpers beim Gehen lenken. Daraus lassen sich Achtsamkeitsübungen gestalten, die die Klient*in regelmäßig im Alltag praktizieren kann.
Zudem ist die Begegnung mit der natürlichen Umgebung prädestiniert für die Erfahrung von Regelmäßigkeit: der Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, Ebbe und Flut, die Mondphasen, der pflanzliche Lebenszyklus uvm. eignen sich hier als „Anschauungsobjekte“ einer Naturtherapie bei Depressionen. Um diese Rhythmen und die menschliche Eingebundenheit darin wieder mehr zu erleben, könnte eine Aufgabe lauten, regelmäßig den Sonnenuntergang achtsam zu beobachten, die Aktivität der Vögel oder die Ausrichtung der Sonnenblumen im Tagesverlauf zu verfolgen.
Auch eine „Kreisarbeit“ bietet sich an, um die wiederkehrenden Aspekte des Lebens zu erfahren (Details dazu in meinem Buch „Naturtherapie“, S. 98-103).
Schließlich kann das achtsame Wahrnehmen des „In-Bewegung-Kommens“ das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken. Wenn Naturherapeut*in und Klient*in gemeinsam draußen sind, kann die Aufmerksamkeit immer wieder auf den Rhythmus von Aktivität und Passivität, Anstrengung und Erholung gerichtet werden.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Wo im Körper spüren Sie gerade Ihren Herzschlag?“
„Versuchen Sie mal, Ihre Schritte an Ihren Atemrhythmus anzupassen.“
„Woran merken Sie, dass es Zeit für eine Pause ist? Wie erkennen Sie den Impuls zum Weitergehen?“
„Wie spüren Sie beim Gehen den Kontakt mit dem Boden? Wie die Unebenheiten, das ansteigende Gelände? Wie passt sich Ihr Körper an?“
„Wie verändert sich Ihr Rhythmus, wenn wir diesen Hügel hinuntergehen?“
4. Antriebsstörungen
Für das seelische Wohlbefinden ist die Stimulation basaler Körpersysteme wie Atmung, Muskeltonus und Bewegung immens wichtig. Die Naturtherapie bietet dafür bei Depressionen die idealen Bedingungen, denn wer nach draußen will, muss sich bewegen. Der Aktivitätsaufbau kann somit quasi beiläufig erfolgen und die Intensität der Anstrengung problemlos variiert werden, z.B. indem die Klient*in eine Strecke und ein Tempo wählt, das sie als angemessene Herausforderung empfindet, etwas Großes aus Naturmaterial baut oder wie ein Kind spielt.
Manche Klient*innen haben sich bislang über ihre Leistungsfähigkeit definiert und können ihre depressive Antriebsschwäche kaum akzeptieren. Auch wenn es ihnen anfangs schwerfällt, können sie in der Achtsamkeitsbasierten Naturtherapie lernen, sich treiben zu lassen, sich nichts zu „erarbeiten“, sondern stattdessen die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Naturtherapeutische „Rausaufgaben“, z.B. achtsames Spazieren mehrmals wöchentlich, erleichtern den Transfer in den Alltag.
Bei naturaffinen Klient*innen lassen sich oft Anknüpfungspunkte an frühere Aktivitäten wiederbeleben (den Nachbarshund ausführen, mit Wildkräutern kochen, Radfahren, Gärtnern etc.).
Einen anderen Zugang bietet die Auseinandersetzung mit Stillstand und Bewegung in der Natur, z.B. Kontemplationen über Steine oder Fließgewässer. Psychoedukation zur Bedeutung von regelmäßigem Tagesablauf und Nachtruhe ergänzt alle antriebssteigernden Naturtherapie-Interventionen bei Depressionen.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Welches Tempo wäre jetzt angemessen, wenn Sie sich etwas herausfordern wollen?“
„Können Sie diese Bewegung mal ganz bewusst machen, so, als wäre es das erste Mal?“
„Wie kommen Sie vom Stillstand in die Bewegung und wie fühlt sich das an?“
„Wenn Sie jetzt pflanzen, können Sie im Sommer Ihr Lieblingsgemüse ernten.“
„Welche Erfahrungen können Sie machen, wenn Sie bewusst nicht eingreifen und nichts verändern?“
5. Sozialer Rückzug
Naturtherapie schafft gute Bedingungen für eine Begegnung mit der Welt. Therapeutisch unterstützt werden kann dies dadurch, dass die Naturtherapeut*in fortlaufend Kontakt anbietet und zur Kontaktaufnahme anstiftet. So kann sie z.B. dicht neben der Klient*in gehen oder vorübergehend auf Instrumente verzichten, bei denen sich die Klient*in allein fühlen könnte. Stattdessen kann ihr die Naturtherapeut*in bei Einzelübungen mit etwas Abstand folgen und jederzeit sicht- und ansprechbar bleiben.
Um der Rückzugstendenz sowie der mimischen und affektiven Erstarrung entgegenzuwirken, kann die Naturtherapeut*in zu Experimenten mit öffnenden und schließenden Bewegungen einladen und den Gefühlsausdruck durch Natursymbole unterstützen. Klient*innen, die sich von der Natur ansprechen lassen und sich für Zeichen und Hinweise aus der Natur öffnen können, erleben sich eher als eingebunden in die Welt. Die Naturtherapeut*in kann Brücken zu diesem symbolischen Erleben bauen, darf jedoch nicht missionieren.
Manche Klient*innen mit Depressionen ziehen sich enttäuscht von den Menschen zurück und wenden sich stattdessen Tieren zu. Als Naturtherapeut*in kann man dies als ersten Schritt aus der Isolation wertschätzen und fördern, indem man zu Kontakt mit Haus- oder Wildtieren ermuntert. Eigene Naturerfahrungen einzubringen kann der Klient*in ebenfalls die Botschaft vermitteln: „Du bist nicht allein“.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Wie ist das, mit mir zusammen hier zu sein?“
„Oh ja, das mache ich auch immer am liebsten!“
„Schauen Sie doch mal, was passiert, wenn Sie im Modus des Sich-ansprechen-lassens draußen sind. Vielleicht erhalten Sie ein Zeichen oder einen Hinweis?“
„Wie drückt Ihr Körper das Öffnen und Schließen der Seele aus? Steigern Sie die Bewegung mal so weit es geht in beide Richtungen.“
„Lassen Sie uns herausfinden, welcher körperliche Abstand für Sie gerade passend ist!“
6. Geringes Selbstwertgefühl
Klient*innen mit Depressionen sind besonders auf nicht an Bedingungen geknüpfte Wertschätzung der Naturtherapeut*in angewiesen. Neben der üblichen Verbalisierung kann die Naturtherapeut*in ihre Akzeptanz auch körperlich und nonverbal ausdrücken, z.B. indem sie ein Sitzkissen oder Getränk anbietet, sich an die Schrittgeschwindigkeit der Klient*in anpasst oder dicht neben ihr geht.
Für den Aufbau des Selbstwertgefühls bei Depressionen ist das Erleben von Selbstwirksamkeit besonders wichtig. Die Naturtherapie bietet unzählige Gelegenheiten, um Herausforderungen zu meistern, z.B. lange Wanderungen, Kälte und Regen widerstehen oder sich der Angst im dunklen Wald stellen. Auch Feuermachen ohne Streichhölzer ist eine Methode, um intensive Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Manchmal sind es auch nur Kleinigkeiten, wie den Weg und die Aktivitäten während der Sitzung zu bestimmen, die der Klient*in ein Gefühl der Selbstwirksamkeit vermitteln.
Eine weitere Methode wäre, die Klient*innen zu ermutigen, sich anhand einer „Lebenslinie“ an Ressourcen und erfolgreiche Momente ihres Lebens zu erinnern und die dazugehörige Körperhaltung bewusst ein- und wahrzunehmen. Für ausreichend stabile Menschen könnte ein akzeptierender Zugang sein, sich mit dem Gefühl der eigenen Wertlosigkeit allein an einen Platz in der Natur zu begeben und sich für ihre Zeichen zu öffnen.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Regenjacke, Wasserflasche, feste Schuhe – wie ich sehe, haben Sie an alles gedacht.“
„Sie sind heute müde und gehen deshalb langsam. Das ist für mich absolut verständlich und völlig in Ordnung.“
„Sie haben offenbar ein Händchen für‘s Feuermachen.“
„Welche Stärken und Fähigkeiten haben Sie im Laufe Ihres Lebens gewonnen?“
„Könnten Sie diesen Stolz mal körperlich ausdrücken und in stolzer Haltung durch den Park gehen?“
7. Mangel und Verlusterleben
Die intensiven Gefühle, die in einer Depression mit dem Erleben von Mangel und Verlust einhergehen, sind für viele Klient*innen so bedrohlich, dass sie sie allein gar nicht ansehen oder gar annehmen können. Um z.B. tiefe Scham, Wut oder Trauer auffinden und aushalten zu können, ist eine sichere Umgebung sowie eine haltgebende therapeutische Beziehung essenziell. Die Naturtherapeut*in kann hier körperlich unterstützen, indem sie z.B. die Hand oder den Rücken der Klient*in hält oder den Arm um ihre Schultern legt, wenn es beiden angenehm ist.
Ein Gefühl der Geborgenheit kann auch wachsen, wenn die Klient*in sich einen „sicheren“ Platz in der Natur sucht und die Naturtherapeutin ihn gegebenenfalls noch mit Decken oder anderen Annehmlichkeiten ausstattet. Als „Rausaufgabe“ könnte die Klient*in sich ein eigenes „Jammertal“ schaffen – ein Platz in der Natur, an dem sie immer, wenn ihr danach zumute ist, ungehemmt klagen und jammern kann.
Viele Klient*innen und ihre Bezugspersonen kennen den unstillbar erscheinenden Hunger von Depressiven nach Liebe und Anerkennung. Oft nehmen die Klient*innen das Gute in ihrem Leben gar nicht wahr, sondern sind vor allem auf den Mangel fixiert. Statt ausschließlich in menschlichen Beziehungen nach Erfüllung zu suchen (was zahlreiche Probleme verursacht), kann auch die natürliche Umgebung beim „Nachnähren“ helfen. So kann sich die Klient*in für die Gaben der Natur öffnen, die ihr immer kostenlos und ohne Gegenleistung geschenkt werden, z.B. wärmende Sonnenstrahlen, essbare Früchte, Frieden, Geborgenheit und viele wundersame Ereignisse. In einer üppig blühenden Wiese fällt es schwer, das eigene Mangelerleben aufrecht zu erhalten und leicht, sich reich beschenkt zu fühlen.
Ein Vorteil dieser „Umlenkung“ auf die Natur ist auch, dass sie eine zu große Abhängigkeit von der Naturtherapeut*in verhindert – eine häufige Schwierigkeit in der Naturtherapie bei Depressionen.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Wie wäre es, wenn Sie sich hier auf den Boden legen und fühlen, wie die Erde Sie hält?“
„Mögen Sie sich mal an einen Baum lehnen und seine Bewegungen im Wind spüren?“
„Suchen Sie sich einen Platz in der Natur, an dem Sie sich sicher und geborgen fühlen. Ich bleibe im Hintergrund und warte auf Ihr Zeichen, wenn Sie Ihren Platz gefunden haben.“
„Gehen Sie einfach los und achten darauf, ob die Natur vielleicht ein Geschenk für Sie bereithält. Wenn Sie das Bedürfnis haben, können Sie sich auch dafür bedanken.“
8. Niedergedrückte Körperhaltung
Wer den Blick nach unten richtet, sieht weniger von der Umgebung. Eine abwechslungsreiche, weite Landschaft kann daher leicht zu einer aufrechteren Haltung (ver)führen. Das Erleben von Weite wirkt auf viele Klient*innen mit Depressionen befreiend und erleichternd. Als ob ihnen draußen eine Last von den Schultern fiele, richten sie sich ganz von selbst etwas mehr auf.
Auch tiefes Atmen von „gesunder Waldluft“ (Terpene!) sorgt für Aufrichtung und mehr Freiraum im Brustkorb. Dabei kann die Klient*in auf emotionale Wirkungen achten, die durch die veränderte Körperhaltung entstehen. Allein durch das Aufrichten ändert sich oft die Stimmung signifikant, was auch zu positiveren Gedanken und kreativeren Einfällen beiträgt.
Im nächsten Schritt könnte daran gearbeitet werden, wie die Klient*in aus einer depressiven Position in eine solche Ressourcenhaltung kommt. Hilfreiche Anschauungsobjekte finden sich wieder einmal in der Natur: Sich hinstellen wie der Baum dort drüben, sich im Wind wiegen wie das Schilfrohr, das Kreisen eines Bussards nachempfinden. Diese Identifikationen tragen nicht nur zu einem besseren Körpergefühl bei, sondern schaffen auch eine emotionale Verbindung zur Natur.
Die gegenteilige naturtherapeutische Ausrichtung kann den Prozess ebenfalls unterstützen: Der Niedergedrücktheit Raum geben. Dazu wird die Klient*in gebeten, ihre Haltung weiter zu verstärken und ihren Impulsen nachzugeben. Vielleicht wird sie sich zu Boden sinken lassen und im Laub eingraben. Die Naturtherapeut*in bleibt geduldig bei ihr, unterstützt gegebenenfalls durch Spiegeln und folgt dem Prozess.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Jetzt heben Sie gerade zum ersten Mal den Kopf. Wodurch kam das?“
„Lassen Sie uns erkunden, welche Wirkung es auf Sie hat, wenn Sie Ihren Kopf immer weiter heben. Was passiert dann im Körper, in den Gefühlen und Gedanken?“
„Wie müssten Sie Ihre Körperhaltung ändern, um sich wieder so zu fühlen?“
„Verstärken Sie mal Ihre Haltung und lassen Sie es zu, dass Ihr Körper noch mehr einsinkt. Geben Sie sich dem Prozess hin, ich bleibe bei Ihnen, wenn Sie möchten.“
9. Rumination und eingeschränkte Sinneswahrnehmung
In der Depression leben Klient*innen mehr in ihren Gedanken als in ihrem sinnenhaften Körper. Achtsames Naturerleben kann die Grübelschleifen unterbrechen, indem es die Aufmerksamkeit gezielt auf Sinneserfahrungen lenkt und somit dem Gedankenkreisen Energie abzieht. Die sanfte Faszination, die von den unterschiedlichen Sinnesreizen in der Natur ausgeht, unterscheidet sich wohltuend von der Reizüberflutung einer städtischen Umgebung und unterstützt so die achtsame Haltung.
Die Naturtherapeut*in kann dazu anleiten, die Naturumgebung mit allen fünf Sinnen wahrzunehmen, was häufig einen spielerischen, erkundenden Charakter bekommt. So könnte sie z.B. der Klient*in bei geschlossenen Augen verschiedene Gegenstände in die Hand legen, die sie betasten und ihre unterschiedlichen Qualitäten erkunden kann, aber nicht zu benennen braucht. Eine Konzentration auf den Geruchssinn kann gefördert werden, indem die Klient*in ein zerdrücktes Blatt zum Riechen erhält und diese Pflanze anhand ihres Geruchs in der Umgebung wiederfinden soll. Auch wer achtsam auf die Geräusche der Natur lauscht, hat keine Kapazitäten mehr frei für negative Grübelschleifen.
Zu Beginn eines Natur-Achtsamkeitstrainings sollten sich Klient*innen mit Depressionen vorrangig mit äußerer Achtsamkeit befassen, damit sie nicht in Gefahr geraten, bei innerer Achtsamkeit wieder in Rumination zu verfallen.
Mögliche Interventionen der Naturtherapeut*in:
„Achtsamkeit kann Ihnen helfen, aus dem Grübeln auszusteigen. Wenn es Sie interessiert, erkläre ich kurz die Grundprinzipien.“
„Als Übungspraxis könnten Sie z.B. jeden Tag 10 Minuten lang den Himmel beobachten. Achten Sie auch auf die kleinen Nuancen des Lichts und die Veränderungen der Wolken.“
„Beschreiben Sie den Gegenstand in ihren Händen ohne hinzusehen. Wenn Ihnen langweilig wird, versuchen Sie noch einen Augenblick länger dabei zu bleiben, um noch etwas Neues herauszufinden.“
Naturtherapie bei Depressionen ist komplex
Vielleicht hast Du nicht alles in diesem Blogartikel verstanden. Das wäre nicht verwunderlich, da Naturtherapie ein komplexer psychotherapeutischer Ansatz ist. Außerdem ist der Text meinem Buch entnommen und dementsprechend aus dem Zusammenhang gerissen.
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