Lange habe ich geglaubt, Psychotherapeut*innen seien irgendwie bessere Menschen. Weiser, vernünftiger, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Die Probleme, mit denen ich mich herumschlug, hatten sie selbstverständlich nicht und würden mich wahrscheinlich nur belächeln, wenn sie davon wüssten. Als ich später selbst eine psychotherapeutische Praxis eröffnete, sah ich die Dinge plötzlich von der anderen Seite…
Achtung, Gedankenleser!
Wie viele meiner Mitmenschen sprach ich Psychotherapeut*innen lange Zeit geradezu hellseherische Fähigkeiten zu und fürchtete, schon analysiert und als abnorm angesehen zu werden, wenn ich ihnen nur auf einer Party begegnete.
Tatsächlich spielt diese Überhöhung der Therapeut*innen eine große Rolle in der Psychotherapie. Die meisten Klient*innen sprechen ihren Therapeut*innen, zumindest am Anfang, eine große Autorität zu. Sie heben sie regelrecht auf ein Podest und ordnen sich ihnen unter. Die Psychoanalyse nutzt dieses Phänomen gezielt, damit die Patient*innen in kindliche Verhaltensmuster verfallen, die dann analysiert und aufgelöst werden können.
Unperfekte Psychotherapeut*innen
Erste Zweifel an der psychotherapeutischen Perfektion kamen mir als der Leiter einer Therapiegruppe erzählte, dass er vor Wut toben könnte, wenn seine Kinder wieder einmal ihre Schuhe vor der Haustür nicht weggeräumt hätten. „Aha, es ist also okay, so wütend zu sein“, dachte ich bei mir und gestattete mir fortan häufiger, meine eigene Wut zu spüren (aber nicht unbedingt sofort auszuleben). Das Vorbild des Therapeuten, der seine Wut spürte und angemessen zum Ausdruck bringen konnte, stärkte mein Selbstwertgefühl.
Später lernte ich noch mehr allzu menschliche Seiten kennen: Gruppenleiter, die mit löcherigen Socken oder zerrissenen Hosen zum Seminar erschienen. Psychotherapeutinnen, die weinten und zugaben, mit einer privaten Situation überfordert zu sein. Psychotherapeuten, die sich mit ihren Eltern überwarfen oder deren Ehen gescheitert waren. Immer deutlicher trat zutage, dass Psychotherapeut*innen auch nur Menschen sind und ebenso Probleme haben wie alle anderen.
Den sicheren Schein wahren
Als ich später – nach bestandener Heilpraktiker-Überprüfung – eine eigene psychotherapeutische Praxis in meinem Haus eröffnete, wollte ich mir dennoch keine Blöße geben. Ich war mir meiner Kompetenz noch nicht sehr sicher und so wollte ich zumindest für meine Klient*innen den Schein der perfekten Therapeutin wahren. Also wurden alle Kinderspielsachen vom Hof verbannt, der Garten getrimmt und mein altes, vollgekrümeltes Auto sicherheitshalber in der Garage geparkt. Heute würde ich sagen: Kein sehr überzeugendes Vorbild für Authentizität und Selbstakzeptanz. 😉
Im Laufe der Jahre wurde ich mutiger und zeigte mehr von meinen „Schwächen“. Ich gestattete mir, zu reden wie mir der Schnabel gewachsen war, ich trug Klamotten, in denen ich mich wohl fühlte und auch Hof und Auto wurden in dem Zustand gelassen, in dem sie nunmal sind, wenn man andere Prioritäten setzt. Manche Klient*innen sagen dann: „Ihr Auto ist aber dreckig.“ Das gefällt mir gut, denn darüber können wir über Perfektionsansprüche und Echtheit ins Gespräch kommen.
Nicht alle Psychotherapeut*innen halten das so. In anderen psychotherapeutischen Schulen will die/der Therapeut*in möglichst wenig von seiner Person zeigen, damit die Klient*innen erkennen können, welche Vermutungen sie meistens über Andere anstellen. Als Vertreterin einer humanistischen Therapierichtung bringe ich mich stärker als Mensch ein und ermutige andere dadurch, sich selbst ebenfalls mehr zu akzeptieren.
Ausbildung Natur-Achtsamkeitstrainer*in
- Lerne, wie Du andere Menschen in und mit der Natur begleiten kannst!
- Entwickle eine neue Haltung zum Leben, die Dich gelassener, gesünder und glücklicher werden lässt!
- Finde eine erfüllende Tätigkeit, mit der Du einen sinnvollen Beitrag für die Welt leisten kannst!
Eigenartig und ermutigend
Psychotherapeut*innen sind also ganz „normale“ Menschen mit Sorgen und Problemen wie wir alle. Dennoch haben sie oft spezielle Eigenarten, die man im Bevölkerungsdurchschnitt seltener antrifft: Da sie Fachleute für die menschliche Seele sind, kennen sie sich auch in ihrer eigenen Seele sehr gut aus. In ihrer Ausbildung haben sie gelernt, wie sie selbst „ticken“ und wie sie gut für sich sorgen können.
So kenne ich z.B. eine Therapeutin, die einen singenden Plüschvogel im Auto hat, weil er ihr gute Laune macht. Eine andere sammelt bunte Kronkorken für ihr „inneres Kind“, eine weitere weint ungeniert im Restaurant, wenn sie gerührt ist. Und wer schon einmal auf einer Party mit Psychotherapeut*innen war, wird sich vielleicht über ihren ausgelassenen Tanz-Stil gewundert haben.
Für Klient*innen ist es häufig eine große Befreiung, wenn sie erkennen, dass sie ihre*n Psychotherapeut*in grundlos idealisiert und sich selbst als „falsch“ und minderwertig empfunden haben. Mit dieser Erkenntnis wachsen Klient*innen förmlich ein paar Zentimeter.
Vor einigen Wochen hat sich dies bei einer Outdoor-Sitzung ganz körperlich ausgedrückt: Als wir nebeneinander in den Wald gingen, sah meine Klientin zu mir herüber und bemerkte: „Ach, ich dachte immer, Sie wären mindestens einen Kopf größer als ich! Aber jetzt sehe ich, dass wir ja gleich groß sind!“ Sie war durch die Therapie innerlich gewachsen und nun erschien ich ihr kleiner!
Seither arbeiten wir sehr erfolgreich „auf Augenhöhe“. 😉
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