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Waldmedizin: Wie wir im Wald gesund werden

Waldspaziergänge sind mein Beruf. Seit rund 30 Jahren gehe ich mit Einzelnen und Gruppen in den Wald, um sie in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Keine wilden Outdoor-Abenteuer, sondern intime Begegnungen mit der Natur, die das Herz berühren und die Seele zum Wachsen verlocken.

Für Naturtherapie und Naturcoaching gibt es aus psychologischer Sicht viele gute Gründe. Dass Bewegung an der frischen Luft zudem äußerst gesundheitsförderlich ist, weiß jede*r. Weniger bekannt ist allerdings, dass in der Waldluft eine Medizin stecken könnte, die unseren Körper vor Krankheiten schützt und sogar das Wachstum von Krebszellen hemmen kann.

Von der Waldmedizin zur Waldtherapie

Herausgefunden haben dies japanische Waldmediziner von der Nippon Medical School in Tokyo. Bei ihren Untersuchungen zum Gesundheitszustand der japanischen Bevölkerung war ihnen aufgefallen, dass in bewaldeten Gebieten signifikant weniger Menschen an Krebs erkrankten als in unbewaldeten Gegenden. US-amerikanische Studien zeigten zudem, dass Stadtbewohner*innen umso gesünder waren, je mehr Bäume in ihrer Nähe wuchsen.

Um den Ursachen dieses Phänomens auf den Grund zu gehen, ersann der japanische Umweltmediziner Prof. Qing Li ein ausgeklügeltes Experiment, das unter Fachleuten weltweit Aufsehen erregte. Aus vorherigen Studien war ihm bekannt, dass schon ein kurzer Waldspaziergang das menschliche Imunsystem ankurbelt. Blutuntersuchungen an Spaziergänger*innen, die einen ganzen Tag im Wald verbrachten, hatten sogar eine 40-prozentige Zunahme der sogenannten „Killerzellen“ sowie eine Steigerung von deren Aktivität ergeben. („Killerzellen“ sind Immunzellen, die z.B. Viren und Tumore bekämpfen. Außerdem töten sie potentiell gefährliche Zellen ab, bevor diese zu Krebs mutieren können.)

Der Effekt dieser „Waldtherapie“ hielt eine Woche an. Nach einem zweitägigen Aufenthalt im Wald hatte sich die Anzahl der Killerzellen im Blut der Proband*innen sogar verdoppelt und blieb 30 Tage lang auf diesem Niveau. Prof. Li vermutete, dass diese Wirkung mit den Inhaltsstoffen der Waldluft zusammen hängen könnte.

Heilung liegt in der Luft

Waldluft enthält nämlich weit mehr als nur Sauerstoff und Kohlendioxid. Über die Luft tauschen die Pflanzen Botenstoffe aus, um miteinander zu kommunizieren. Mithilfe dieser sogenannten „Terpene“ können sie sich z.B. vor Schädlingen warnen, so dass weiter entfernt stehende Bäume schon Abwehrstoffe bilden können, bevor ein Schädling sie befällt. Wenn nun ein Mensch sich im Wald aufhält, atmet er diese Terpene permanent ein. Ob die Zunahme und Aktivität der Killerzellen von den Terpenen herrührt, testeten Qing Li und sein Team quasi unter Laborbedingungen:

Zunächst isolierten sie die häufigsten Terpene aus der Waldluft und luden dann eine kleine Proband*innen-Gruppe zu einer Übernachtung im Hotel ein. Während die Testpersonen schliefen, ließen die Forscher in einigen Zimmern die Terpene verströmen. Bei der Blutuntersuchung am nächsten Morgen zeigte sich schnell, wer in einem unbehandelten Zimmer und wer in „Waldluft“ geschlafen hatte. Wieder waren die Killerzellen der „Waldbesucher*innen“ signifikant erhöht. Aus diesen Erkenntnissen leiteten sie eine neue Form der Gesundheitsprävention und ergänzenden Krankenbehandlung ab: die Waldtherapie, inzwischen in über 50 Waldtherapie-Zentren in ganz Japan fest etabliert.

Verbreitung der Waldmedizin

Das klingt zu schön, um wissenschaftlich bewiesen zu sein? Richtig, denn an der genannten Studie waren leider nur 12 Proband*innen beteiligt! Noch sind die Ergebnisse von Prof. Li und seinem Team also nicht ausreichend bestätigt. Daran arbeiten Waldmediziner*innen weltweit, v.a. in Japan, den USA, Südkorea, Neuseeland und Russland. Doch als neuer Gesundheitstrend ist das Waldbaden bzw. die Waldtherapie längst auch in Österreich und Deutschland angekommen: Als Vorreiter eröffnete das mecklenburgische Ostseebad Heringsdorf 2017 den ersten deutschen Kur- und Heilwald. Der Bäderverband sieht v.a. Potenzial bei der Behandlung von Patient*innen mit COPD, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, orthopädischen und psychosomatischen Indikationen. Zukünftig sollen weitere Wälder als Gesundheitsorte ausgewiesen und die Kosten für Behandlungs- und Präventionsangebote im Wald von den Krankenkassen übernommen werden (wie in Neuseeland).

Was ist der Unterschied zwischen Waldtherapie und Naturtherapie?

Aus dem bisher Gesagten erschließt sich, dass es für die positive Wirkung der Waldluft ausreicht, sich einfach nur im Wald aufzuhalten. Bei der „Waldtherapie“ ist also der Aufenthalt im Wald oft schon die ganze Therapie. Es gibt jedoch inzwischen auch Bestrebungen, spezifische Übungen im Wald für z.B. Atemwegserkrankungen, psychosomatische, Herz-Kreislauf-, onkologische und neurologische Erkrankungen einzusetzen.

Unter „Naturtherapie“ verstehen wir hingegen eine Form der Psychotherapie bzw. des Coachings, die das bewusste Naturerleben für Zwecke der seelischen Heilung und Entwicklung einsetzt. Waldtherapie kann man auch allein machen; für eine Naturtherapie braucht es die professionelle Begleitung durch eine*n Therapeut*in. Und schließlich findet die Waldtherapie nur im Wald statt, während die Naturtherapie auch andere Landschaftstypen einbezieht.

Shinrin Yoku

In Japan gibt es seit den 1980-er Jahren eine spezielle Form der Waldtherapie: das „Shinrin Yoku“ (zu deutsch „Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes“ oder kurz „Waldbaden“), das auch in Deutschland zunehmend Verbreitung findet. An unserer Akademie lassen wir bei Shinrin Yoku-Spaziergängen zusätzlich Elemente der Achtsamkeitspraxis einfließen. Dadurch bekommen die Teilnehmenden – über den Aufenthalt in der Waldatmosphäre hinaus – wirksame Werkzeuge zur Stressbewältigung an die Hand, die sie auch im Alltag nutzen können. So sind am Ende eines Waldbade-Tages Körper, Geist und Seele wieder im Einklang und können es auch lange bleiben.

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Weitere Informationen:

Buch „Der Heilungscode der Natur“ von Clemens Arvay

Original-Studien von Prof. Qing Li (auf englisch)

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Die Autorin

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