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Beim Thema Achtsamkeit denken wir gewöhnlich an östliche Weisheitslehren, v.a. an den Buddhismus. Dass es auch im Westen eine lange Tradition der Achtsamkeit gibt, wird häufig übersehen. Statt dessen höre ich manchmal die Kritik, dass sich „Westler“ einfach dieses Prinzips bedienen, ohne dessen kulturellen Hintergrund in seiner ganzen Tiefe wirklich verinnerlicht zu haben.
So würden die Anschauungen und Praktiken der Achtsamkeit verflacht oder gar entstellt, um sie für den westlichen Menschen nutzbar zu machen. Diesem Vorwurf möchte ich entgegen halten, dass es auch schon in der antiken griechischen und römischen Philosophie reiche Quellen einer „europäischen“ Achtsamkeit gab.
So soll Sokrates z.B. gesagt haben, dass man, wenn man sich um andere kümmern will, sich zuerst um sich selbst kümmern müsse. Sorge dich um dich selbst, achte auf dein Selbst, indem du das, was du im Augenblick fühlst und denkst, wachsam und unverstellt zu erfassen versuchst, so könnte man Sokrates´Maxime zusammenfassen.
Das Thema der Sorge um das eigene Selbst als wachsame und unverstellte Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber (um so schließlich zu wahrer Selbsterkenntnis zu gelangen und das Göttliche in sich selbst zu entdecken), zieht sich fast durch die gesamte griechisch-römische Philosophie.
Seneca sagte, dass man bei dieser Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Selbst im jeweiligen Moment auch mit Freude und Freundlichkeit bei sich selbst verweilen solle. Und Marc Aurel, der „Philosoph auf dem Kaiserthron“, versuchte von Augenblick zu Augenblick seine Gedanken, Empfindungen und Absichten sorgsam zu registrieren und zu reflektieren.
Auch moderne Philosophen wie Heidegger und Sartre schrieben über Achtsamkeit, v.a. im Hinblick auf die Wahrnehmung der eigenen Existenz. Über den Existenzialismus in der Philosophie und die Existenzialpsychologie hat das Achtsamkeitsprinzip auch Einzug gehalten in existenzielle Formen der Psychotherapie, z.B. in die Achtsamkeitsbasierte Naturtherapie. Fazit: Das Achtsamkeitsprinzip ist in der abendländischen Geistesgeschichte seit Jahrtausenden vertreten und wir brauchen diesbezüglich unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.
PS: Das Wort „Acht“ kommt übrigens vom germanischen „ahta“ und bedeutet so viel wie „Aufmerksamkeit, Beachtung, Fürsorge“. Schön, nicht?
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2 Antworten
Sehr interessant, liebe Sandra, was du zu den abendländischen Wurzeln der Achtsamkeitspraxis teilst. Das war mir im Einzelnen nicht so geläufig. Ich empfinde es auch nicht so, dass sich Westler (z.B. Kabat-Zinn) im Buddhismus bedienen, sondern sie machen es verfügbar, oft vor dem Hintergrund eigener, fundierter buddhistischer Praxis.
Was jedoch m. E. deutlicher werden sollte ist, dass es die 2500 Jahre alten Quellen des Buddha sind, die in der Tat als Wurzel gesehen und anerkannt werden sollten. Es gibt keine anderen Quellen, die „Sati“, die Achtsamkeit, so strukturiert und gründlich unterweisen, wie es die Lehrrede des Buddha über die „Vier Grundlagen der Achtsamkeit“, dem Satipatthana Sutra, tut. Es lohnt sich, das einmal in die Betrachtung mit aufzunehmen, ohne die eigenen Wurzeln ignorieren zu müssen. Zumal der historische Buddha, wenn wir über „Achtsamkeit in der Natur“ sprechen, eine starke Basis hat: sein Erwachen, unter dem Bodhibaum ist dafür ein wundervolles Bild. Liebe Grüße!
Danke für den Hinweis, liebe Andrea. Ich stimme Dir zu, dass von den verschiedenen Quellen der Achtsamkeitslehre die des Buddha wohl die ausführlichste ist. Das wunderbare Bild vom Erwachen unter dem Bodhibaum ist für mich ein Hinweis auf die „Natur als Weg“ – das Motto unserer Akademie.